Mutterseelenallein

rund um die Geburt

Es ist nicht normal, dass Väter ihre gebärende Partnerin erst ab dem Kreissaal begleiten dürfen und das Krankenhaus gleich nach dem Entbinden wieder verlassen müssen. Es ist nicht normal, dass schwangere Frauen ihr Wohl gänzlich in die Hand eines Arztes/einer Ärztin legen und dabei dem eigenen Körpergefühl nicht mehr trauen. Mütter und Väter müssen mit schreienden Babys nicht monatelang alleine zurechtkommen. Es gibt Hilfe. Und es gibt viele Vorurteile und gesellschaftliche Zuschreibungen rund um Geburt und Elternschaft. Auch wenn vieles als „normal" betrachtet wird, muss es nicht so bleiben – vor allem dann nicht, wenn Eltern diese „normal“ definierten Situationen als Momente der Einsamkeit und des Alleinseins erleben. Zum achten Mal organisierte das "Haus der Familie" im Mai 2022 in Zusammenarbeit mit 25 Südtiroler Organisationen die Sensibilisierungskampagne MutterNacht. 

Südtirol Tour der Mutternacht

Im Rahmen der Mutternacht 2022 waren Mitarbeiter:innen des Netzwerks und der Organisator:innen in vier Orten in Südtirol unterwegs. Drei weiße Stühle mit jeweils einem großen Daumenkino standen in Bruneck, Schlanders, Sterzing und Bozen auf zentralen Plätzen. Im Daumenkino wurde mittels einer zunehmend zerzausten Barbie-Puppe die Idealisierung rund um Geburt und Elternschaft versucht aufzubrechen. Die Barbie-Figur wird regelmäßig kritisiert, da sie ein traditionelles Frauenbild zementiert. Die Künstlerin Astrid Gärber und die Fotografin Tania Marcadella haben die Reizfigur bewusst gewählt und beleuchten im Daumenkino in mehreren Szenen idealisierte Situationen rund um Geburt, Frauenrollen und Situationen im ersten Lebensjahr des Kindes kritisch.

Vorbereitend auf die MutterNacht waren Eltern eingeladen, ihre Geschichten zu erzählen. Diese Erzählungen sind in einem Buch gesammelt, das bei den Aktionen zur MutterNacht vorgestellt wurde. Radio- und Fernsehsprecher Thomas Vonmetz trug einige Geschichten aus dem Kampagnen-Buch beim Aktionstag in Bozen vor, das Lucilla Patrizi illustriert hat. Die Musikgruppe „Saxophone Craze“ umrahmte diese Veranstaltung auf dem Rathausplatz musikalisch. Die Tänzerinnen Sarah Merler und Sabrina Fraternali brachten das Thema „Mutterseelenallein“ mit ihrer gelungenen Tanzeinlage „Glaskugel“ auf die Bühne.

Die Hebamme und interkulturelle Mediatorin Fatima Ezzahra Ziyani erklärte bei der Podiumsdiskussion, dass Frauen den Wunsch haben, in ihrer Muttersprache zu gebären und dass kulturelle Unterschiede in außerordentlichen Situationen wie der Geburt besonders sichtbar werden. In anderen Kulturen sei es üblich, dass gewordene Mütter bis zu 40 Tage rund um die Uhr von Freundinnen, Schwestern und Nachbarinnen gemeinsam mit Hebammen begleitet werden. Verena Figl ist eine betroffene Mutter, die sich bei der Geburt ihres Sohnes vor zwei Jahren nicht aufgehoben gefühlt hat, die sich von Hebammen und Ärzt:innen fremdbestimmt wahrnahm, ein Familienzimmer schmerzlich vermisste und sich ihrer Selbstwirksamkeit beraubt fühlte. „Redet darüber, wenn es euch nicht gut geht“, rief Verena Figl die Anwesenden auf. Es brauche auch seitens der Fachleute empathische Unterstützung und ein Ernstnehmen der Gebärenden und ihrer Gefühle. Michele Larcher ist der Vorsitzende der Südtiroler Adoptiv- und Pflegeeltern. Er betonte, dass sich Paare, die jahrelang auf ein Adoptivkind warten oder innerhalb von wenigen Tagen plötzlich Eltern werden ebenfalls einsam, überfordert fühlen und dringend Unterstützung brauchen. Allerdings habe jede Familie unterschiedliche Bedürfnisse. Camilla Dell’Eva von den „Frühen Hilfen“ betonte, dass es wichtig sei, rund um die Geburt auf Familien bereits proaktiv und nicht erst reaktiv zuzugehen. Außerdem sei es notwendig, dass fachliche Mitarbeiter:innen in den verschiedenen Diensten sich unterstützen. Barbara Walcher von der EEH (Emotionelle Erste Hilfe) erzählte, dass ihr viele Paare begegnen, die aufgrund der großen Idealisierung rund um die Geburt zu hohe Erwartungen an sich selbst stellen. Besonders schlimm sei die persönliche Einsamkeit trotz des Paarseins. Familien sind sehr unterschiedlich und entsprechend unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse. „Wir haben es nicht in die Wiege gelegt bekommen, Emotionen wie Traurigkeit oder Angst zu benennen.“ Häufig scheitere es an den zwischenmenschlichen Beziehungen.

 

Sammelband 2022

Betroffene Eltern wurden eingeladen, von ihren Erfahrungen zu berichten. Daraus entstand ein Buch mit Geschichten, das beitragen soll, das Tabu aufzubrechen. Bestellung des Buches in gedruckter Form unter: mutternacht@hdf.it, im Haus der Familie oder bei den NetzwerkpartnerInnen.