WaldkircheGottesdienste, Veranstaltungen, Informationen
Die Geschichte der Kirche

In Lichtenstern, einem Weiler in einer Waldlichtung des Ortes Lengmoos, befindet sich Bildungszentrum „Haus der Familie“. Schon vor dem 1. Weltkrieg war die Waldschenke, die in der dotrigen Waldlichtung stand, ein beliebtes Ausflugsziel. Nach dem 2. Weltkrieg (seit 1947) gab es dort die ersten Fortbildungsmöglichkeiten. Zu Beginn der 1950er-Jahre kaufte die Caritas der Diözese das Grundstück mit der Waldschenke und übergab es der Schwesterngemeinschaft der Caritas Socialis. Die Schwestern führten das Haus und  boten Glaubens- und Ehevorbereitungskurse sowie Exerzitien an, die sich regen Zuspruchs erfreuten. Wegen des anstehenden Renovierungsbedarfs wurde das Bildungshaus im Jahr 1973  geschlossen.

Zehn Jahre später übergab die Diözese Bozen-Brixen die Anlage dem Katholischen Familienverband Südtirol. Der Verein „Haus der Familie“ wurde gegründet und ließ die ehemalige Waldschenke 1984 restaurieren. Daneben wurde ein neues, größeres Gebäude errichtet. Lichtenstern wurde zu einem der wichtigsten Bildungshäuser Südtirols.

Die alte Waldschenke

Die Waldkirche wurde zwischen 1953 und 1955 mit einfachen Mitteln gebaut und 2016/2017 von Grund auf erneuert. Um dem Innenraum mehr Tageslicht zu schenken, haben die Geschwister Messner Architects die Ostfassade mit einer großzügigen rechteckigen Öffnung durchbrochen. Der gerahmte Blick nach außen ist geprägt von der sich wandelnden Landschaft im Laufe der Jahreszeiten. Der neue Altar befindet sich in der Mittelachse des Kirchenraumes – flankiert von Ambo und Priestersitz: Massive Monolithe aus Passeirer Gneis ruhen auf lichtdurchlässigen Glassockeln. Die Kirchenbänke aus Lärchenholz wirken leicht. Der Bildhauer Josef Rainer hat die Kirche mit einem Kruzifix und einem Tabernakel vervollständigt.
Im ehemals ungenutzten Unterdach der Kirche entstand ein weiterer Gruppenraum, der 20 Menschen als Ruheoase und Platz zum Innehalten dient.

Der Umbau der Kirche

Den Umbau der Kirche (2013–2017) führten Franz (1952–2017), Verena (*1985) und David (*1981) Messner (MESSNER Architects) aus. Sie gaben dem Sakralbau ein modernes und zeitgemäßes Aussehen. Das Dach wurde mit Lärchenschindeln neu eingedeckt. Einer genau durchdachten Lichtführung und dem Zusammenspiel von Raum und Licht ist es zu verdanken, dass der Bau nicht nur heller und heimeliger wirkt, sondern auch mehr atmosphärische Wirkkraft erhält.

Die architektonischen Eingriffe, die sich auch in der Außengestaltung niederschlagen, sind an  der West- und Ostfassade auszumachen. Über dem Eingangsbereich im Westen wurde das Mauerwerk im Dreiecksgiebel abgetragen und die bereits vorhandene Flachwerkskonstruktion freigelegt. Etwas nach hinten versetzt trennt eine Glasfassade das Giebelwerk vom Innenraum im Obergeschoß.

Im Osten hingegen wurde die Wand durch eine querrechteckige Öffnung aufgebrochen. Dieser Wandeinschnitt nimmt zwei Drittel der Gesamtbreite des Kirchenraumes ein und flutet den Innenraum mit Licht. Durch diesen besonderen Eingriff werden die Grenzen zwischen Außen- und Innenraum zwar nicht aufgehoben, aber verwischt. Vom Kirchenraum aus betrachtet, ersetzt die Fensteröffnung das Altarbild beziehungsweise wird selbst zum Altarbild. Der Blick richtet sich in einen herrlichen Landschaftsraum mit dem Lärchenwald, in die Großartigkeit der Schöpfung. Kultraum und Naturraum verschmelzen. Verbindendes Element ist ein schlichtes Kreuz, das in der kleinen Waldwiese hinter der Kirche aufgestellt wurde. Das ist eine tief theologische Aussage. Das Kreuz hebt Widersprüche auf, es verbindet die irdische Welt mit der göttlichen Welt, Diesseits mit Jenseits, Mensch mit Gott.

Josef Mayr-Nusser

Fast 60 Jahre lang waren die sterblichen Überreste von Josef Mayr-Nusser (1910–1945) in der Kirche von Lichtenstern beigesetzt. Der 2017 im Dom von Bozen selig gesprochene  Glaubenszeuge wurde in Danzig wegen Verweigerung des Eids auf Adolf Hitler zum Tode verurteilt und sollte im Konzentrationslager Dachau erschossen werden. Auf dem Weg dorthin starb er am 24. Februar 1945 in Erlangen in einem Viehwaggon. Josef Mayr-Nusser wurde zunächst in Erlangen begraben. 1958 wurden seine Überreste nach Lichtenstern überführt und in der Sakristei  aufbewahrt, ehe sie im Frühjahr 1963 an der Außenmauer der Kirche beigesetzt wurden. Heute ist eine Reliquie Mayr-Nussers vor dem Altar eingelassen und durch ein Sichtglas einsehbar. Das Grabmal von Josef Mayr-Nusser befindet sich seit der Seligsprechung am 18. März 2017 am Seitenaltar des rechten Seitenschiffes in der Pfarr- und Domkirche Maria Himmelfahrt von Bozen.

Josef Mayr-Nusser drückt seine Lebensaufgabe mit folgenden Worten aus: „Um uns ist Dunkel. (...) Dabei  sollen wir Zeugnis geben und durch das Licht Christi dies Dunkel überwinden, trotz aller Angriffe, bei allem Ungehört- und Unbeachtetsein. Zeugnis zu geben, ist heute unsere einzige schlagkräftigste Waffe. Seltsam genug. Nicht Schwert, nicht Gewalt, nicht Geld nicht einmal der Einfluss geistigen Könnens, geistiger Macht, nichts von alldem ist uns als unerlässlich geboten, um die Herrschaft Christi auf Erden aufzurichten. Etwas ganz Bescheidenes und doch Wichtigeres hat uns der Herr geboten: Zeugen zu sein ... Dies schlichte, einfache Sein. Das ist das größte Zeugnis."

Eine Gedenknische des Künstlers Gotthard Bonell (*1953) im linken Eingangsbereich erinnert an den Seligen und soll gleichzeitig ein Mahnmal für eine christliche Lebensgestaltung sein. Die  Darstellung Bonells (Öl auf Leinwand) zeigt ein Porträt des Seligen, das an den linken unteren Bildrand gedrängt ist. Den zentralen Bildinhalt bilden Szenen des Leidensweges Jesu, die scheinbar in den Hintergrund treten. Dieser Hintergrund aber ist gleichzeitig Hintergrund des Lebens von Josef Mayr-Nusser, der die christlichen Werte bis zum Märtyrertod gelebt hat.

Klingende Säule

Eine Bronzeskulptur, die sich ebenfalls mit Josef Mayr-Nusser und seiner Wertehaltung befasst, befindet sich seit 2021 neben der Kirche. Beim Kunstwerk handelt es sich um eine Klangsäule, die der Künstler Josef Rainer (*1970) geschaffen hat. Die auf Stelen aufbauende Figur ist mit drehbaren Scheiben ausgestattet. Darauf stehen Wörter in verschiedenen Sprachen. Alle diese Worte bezeichnen Werte, für welche Mayer-Nusser eintrat. Von der Komponistin Manuela Kerer (*1980) stammen die verschiedenen Klänge und Geräusche, die durch das Drehen der Scheiben erklingen. Dabei verändern sich die Tonfarben je nach Geschwindigkeit der Drehung. Wenn wenn mehrere Scheiben zugleich bedient werden, ergeben sie ein breites Klangspektrum. Beim Berühren der Skulptur und beim Drehen der Scheiben werden verschiedene Sinne angesprochen. Das Werk wird lebendig und zu einer Brücke von Mayr-Nusser in die Gegenwart.
Genau diese Verbindung wird im obersten Teil der Bronzesäule aufgegriffen. Eine Abdeckplatte krönt die Skulptur. Im Zentrum schließt eine Kugel das Werk ab. Die figürliche Szene auf der Plattform lässt an jene Episode erinnern, in der Mayr-Nusser seine Frau und seinen Sohn das letzte Mal lebend sieht, ein Abschied für immer, der bittere und tragische Preis für Zivilcourage und Heldenmut. Die Kugel in der Mitte überragt die Szene und zieht das Kunstwerk nach oben. Damit verleiht sie der Blickweise eine andere Perspektive. Die Kugel ist Symbol für Ganzheit und Unendlichkeit und damit für Gott. Aus christlicher Sicht ist es kein Abschied für immer. Der Einsatz für Werte und Wertehaltungen überdauert die Zeiten.

Der Innenraum der Kirche

Das Innere der Kirche wurde fast vollständig erneuert. Der Raum strahlt Licht, Ruhe, Geborgenheit und Atmosphäre aus. Dies ist der Lichtregie und den verwendeten Materialien geschuldet, die ortsbezogen sind und die Beziehung zwischen Außen und Innen widerspiegeln. So sind die Kirchenbänke und die Holzdecke aus Lärchenholz, aus jener Baumart, die durch den Blick auf die Landschaft sichtbar wird. An der Rückseite der Kirche wurde der Windfang durch eine vorspringende milchige Glaswand ersetzt, die in etwa die Größe des „Altarbildes“ beziehungsweise des Mauereinbruches in der Ostseite einnimmt und damit die Formsprache zwischen Kirchenraum und Altarraum aufgreift. So werden der Bezug und die Zusammengehörigkeit beider Raumteile betont, die wiederum durch eine leicht ansteigende Rampe verbunden werden. Auf diese Weise kommt der Gemeinschaftscharakter stärker zum Tragen.

Der Altarraum

Der Plan der Altarraumgestaltung geht auf den Künstler Franz Messner (1952–2017) zurück, der während der Umsetzungsphase verstorben ist. Seine beiden Kinder David und Verena (MESSNER Architects) führten seine Pläne aus. Die wichtigen liturgischen Orte (Altar, Ambo und Priestersitz) sind in ihrer Materialwahl aufeinander abgestimmt. Der heimische Naturstein aus dem Passeiertal, der sogenannte „Psairer Gneis“ wirkt auf dem transluzenten Glassockel wie ein Kräftespiel. Das Gewicht und die Masse des Steins scheinen aufgehoben und versetzen den Altar in einen vermeintlichen Schwebezustand.
Andererseits werden die Schwere und die Kraft sichtbar, die vom Altar ausgehen. Der dunkelfarbige Gneis verstärkt diesen Eindruck. Der Altar wird zum Eckstein, an dem sich Kirche aufbaut.  („Dieser Jesus ist der Stein, der von den Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist.“, vergleiche Apostelgeschichte 4,11). Das Spiel zwischen Schwebezustand und Kraft lässt sich im übertragenen Sinn auf das Zusammenwirken zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch anwenden, das in der Eucharistiefeier ihren Höhepunkt erlebt.
Die Formsprache des Altars wird in der Gestaltung des Ambo erneut aufgegriffen. Wort Gottes und Eucharistie sind aufeinander bezogen, gehören zusammen und bedingen einander. Der Altarraum erinnert so an die Berufung aller Gläubigen, zu lebendigen Steinen zu werden und ein geistiges Haus, die Kirche zu bilden (vgl. 1. Petrusbrief 2,5).

Künstlerische Gestaltung

Die Christus-Darstellung links oberhalb des Wandausschnittes im Altarbereich ist ein Werk von Josef Rainer (*1970). Die Bronzestatue, die sich vor einem zurückhaltend gemalten Kreuz abhebt, zeigt einen Auferstandenen mit weit ausgebreiteten Armen. Jene Arme, die noch kurz davor ausgestreckt ans Kreuz genagelt wurden, gehen jetzt in eine Umarmung über, die alle Menschen umfasst.
Trotzdem gehören Kreuz und Auferstehung zusammen. Davon zeugen auch die Wundmale, die der Auferstandene noch trägt - an ihrer Stelle wurden Bergkristalle angebracht. 

Der Tabernakel auf der gegenüberliegenden Seite ist ebenfalls in Bronze gestaltet und mit Bergkristallen geziert. Damit wird der Bezug zum Auferstandenen deutlich. Denn im Tabernakel, in dem die konsakrierte und gewandelte Hostie aufbewahrt wird, ist Christus gegenwärtig.

Das Glasfenster stammt von Peter Fellin und ist heute an der Rückseite der Kirche eingelassen; die Zierhalterung ist eine Arbeit von Martin Rainer. 

Die emaillierte Madonna in Terrakotta (i.B.) stammt von Maria Delago (1902–1979). Die Kreuzwegstationen aus gebranntem Ton sind Werke der Boznerin Traudl Erckert.